DAS WASSER DES TAMPA - Geschichte eines Köhlers
Der Tampa blieb die ganze Woche über auf dem Berg und schlug mit dem fiochèla [gekrümmtes Axtmesser] oder der seghèt [Säge] die kleinen Hölzer, die an den sonnigen und trockenen Hängen wuchsen. Es gab keine großen Bäume in diesem Gebiet, denn es war eine Gegend für carbunér [Köhler], denn auch nach 10-15 Jahren waren die èl fràsen [Esche], èl rùer [Eiche], èl càrpen kaum mehr als Sträucher, bereit, gefällt zu werden. Sobald die Äste von den smèrse [Wurzeltrieben] gesäubert, nach Größe sortiert und auf die gleiche Länge von etwas mehr als einem Meter verkürzt waren, transportierte er sie und stapelte sie ordentlich am nächstgelegenen "gial", einem kreisförmigen Platz von 5-6 Metern Durchmesser, der durch das Graben im Hang und durch die Nachlagerung des Aushubs und, falls nötig, mit einer Trockensteinmauer geschaffen wurde. Nur an Sonntagen oder wenn es regnete oder schneite, ging er hinunter ins Dorf, um sich in irgendeiner verrauchten Kneipe in Gesellschaft eines rotgefärbten Bechers, den er weder zu leer, noch zu voll... aber auch nicht halbvoll haben wollte, zu verschanzen. Vor der Dämmerung, die in der Wintersaison sehr früh einbrach, stapfte er den Pfad wieder hinauf, schwankend und fluchend, mit seinem Rucksack, der gefüllt war mit gelbem Mehl, um Polenta zu machen, etwas Gemüse für die Suppe, ein wenig Käse, ein bisschen Pasta, einem guten Vorrat an Weinflaschen, begierig darauf, sich in sein aus Blättern geschaffenes Bett zu legen. Das Bett befand sich in der schiefen Hütte, die im Schatten eines großen Baumes, an den er seinen Esel anband, errichtet war, gleich neben dem "gial", der schon vorbereitet war, um die Kohle herzustellen. Bald wäre dieser Platz vom Holzstapel ausgefüllt worden, der ordentlich wie eine Garbe angeordnet war, mit einer rauchenden Feuerstelle in der Mitte: ein kleiner Vulkan, der mit seinen herben Ausdünstungen seine Haut geschwärzt hatte, die bereits trocken und faltig von der Sonnenstrahlung war, wie der Stamm jener uralten Eiche, die die Feuerflammen viele Male um sich herumtanzen gesehen hatte.
Dies war seit seiner Kindheit sein immer wiederkehrender Tagesablauf. Wer weiß, ob er das Bewusstsein und die Möglichkeit hatte, Augen für die um ihn liegende Schönheit zu haben, wie das Blau des untenliegenden Sees, die Erhabenheit des Monte Baldo, das Schauspiel eines Panoramas, das sich auf den Hügeln am Waldrand in Richtung Unendlichkeit verlor. Tampa hatte keine großen Bedürfnisse und wahrscheinlich stellte er sich auch keine Fragen. Nur eine Sache nagte an ihm, ein Traum, den er seit Jahren pflegte. Die umliegende Gegend war trocken und steinig und es gab keine Möglichkeit, ausreichend Regenwasser zu sammeln und der Berg hatte sonst keine Quellen. Es war anstrengend, nach der Arbeit jedes Mal in Begleitung seines Esels ins Tal hinunter zu gehen, um die Schläuche zu füllen, mit denen das Feuer kontrolliert wurde und den Topf zu füllen, in dem er seine armseligen Lebensmittel kochte. Als er eines Tages von einem Mann hörte, der mit einer hölzernen Gabel bewaffnet "das Wasser fühlte", auch wenn es versteckt in der Tiefe war, traf er sich mit ihm in der Hoffnung, dass dieser sein Problem lösen würde. Der Mann enttäuschte ihn nicht und, nachdem er das Gelände abgesucht hatte, zeigte er ihm eine Stelle, ganz in der Nähe des "gial", wo er – laut dem Wünschelrutengänger – das gefunden hätte, wonach er suchte.
Der nächste Schritt war nun das ausgraben und so machte er sich, bewaffnet mit Schaufel und Spitzhacke, an die Arbeit.
Die anderen Bergbewohner schüttelten den Kopf: An dieser Stelle hatte es noch nie auch nur ein Rinnsal Wasser gegeben, die Felsen brachen und bekamen Risse und das Regenwasser floss in irgendwelchen Tiefen hinab.
Es war also alles verschwendete Zeit.
Aber die Entscheidung war gefallen und èl Tampa, wie unser Köhler von allen genannt wurde, obwohl er mit Nachnamen Marchina hieß, wollte nicht aufgeben. Er drang immer tiefer in den Berg aus Erde und Steinen ein und gelangte bis unter die Grenze der Wurzeln. Nachdem er auf Felsen gestoßen war, machte er weiter und versuchte, die am meisten herausragenden Zacken abzutragen. Aber leider war nicht ein Tropfen Wasser zu sehen. Alles war vollkommen trocken. Seine Freunde lachten ihn aus und nutzten neugierig jeden Vorwand, um herauszufinden, wieweit dieser sücù del Tampa [fig. Störrischer Esel] gehen würde: Sie hatten ihm ja gesagt, dass es reine Zeitverschwendung gewesen wäre und dann hatte er beim Graben nicht nur kein Wasser gefunden, sondern auch über sich den Weg und den breitesten und bequemsten "gial" der Gegend zum Einsturz gebracht. Einige Zweifel begannen am Köhler zu nagen. Vielleicht war es doch nicht der richtige Ort. Es war entmutigt, aber so einfach konnte er nicht aufgeben. Er war jetzt mittendrin. Er stellte sich vor, wie sich die Kumpane der Taverne über ihn lustig gemacht hätten ..., mit ihren derben Witzen ... er musste unbedingt einen weiteren Versuch starten. Also entschied er sich, weiter nach oben zu gehen. Vielleicht floss das Wasser an der Stelle, an der er gegraben hatte, einfach zu tief und er dachte sich, dass es einen Versuch wert wäre, weiter oben zu suchen. Er grub also fünfzig Meter bergaufwärts weiter, aber auch hier fand er nichts, nur lose Erde und Steine, bis er wieder auf kompakten Felsen stieß. Er konnte aber nicht wieder aufgeben. Er lieh sich von einem befreundeten Maurer eine punta [Meißel] und eine masèta [kleiner Vorschlaghammer] aus und ohne den Mut zu verlieren begann er, den Felsen zu meißeln, um unter großer Mühe einen engen Tunnel zu schaffen. Mittlerweile hatten sogar die Neugierigen ihr Interesse an ihm verloren und ihn verlassen, aber somit konnte er wenigsten in Ruhe arbeiten. Schlimmstenfalls hätte er seine Arbeit als Keller und Vorratskammer nutzen können.
Wahrscheinlich vergingen einige Jahreszeiten mit diesem Vorhaben, denn in der Zwischenzeit musste èl Tampa auch seiner Tätigkeit in den Wäldern nachgehen. Nachdem viel Zeit verstrichen war und er sich lange abgemüht hatte, war das Erdloch mehrere Meter tief und wenn er sich darin umdrehte, konnte er den Ausgang fast nicht mehr sehen. Leider gab es immer noch keine Anzeichen einer Quelle. Dann geschah eines Tages, nach einer langen Regenzeit, das erwartete Wunder: er konnte hinter der letzten Mauerwand das Fließen des Wassers, das ein dumpfes Geräusch verursachte, hören. Stellt euch seine Aufregung vor... den Schweiß für die erneuten Anstrengungen. Kurzum, auch das letzte Hindernis wurde beseitigt: und endlich, hier war das gesegnete Wasser, nach dem er so lange gesucht hatte. Für ihn, der sich nur vage an den Katechismusunterricht erinnerte, den er als Junge für seine Konfirmation besucht hatte - eine der wenigen Gelegenheiten, die er hatte, auf einer Schulbank zu sitzen - war es wie das Wasser des Flusses Jordan für Johannes den Täufer. Er rannte ins Dorf um die Nachricht zu verbreiten und wahrscheinlich hatte er an diesem Abend nicht einmal mehr die Kraft, in seine Hütte zurückzukehren, so sehr musste sich der Kater, den er vom Feiern hatte, ausgewirkt haben. Jeder beglückwünschte ihn zu seinem Fund und vergaß dabei den Spott und die Hänseleien. Es war sein Wasser, “l’acqua del Tampa”, wie sie es sofort genannt hatten, seine Beharrlichkeit hatte nun endlich den verdienten Erfolg erhalten. Es hatte ihn so viel Kraft und Mühe gekostet, aber es kam ihm nicht einmal in den Sinn, sich für den Spott und die an ihn gerichteten Hänseleien zu rächen und für diesen Fund Geld zu nehmen. Die Jäger und Bergbewohner durften alle das Wasser von der Quelle schöpfen: Das Wasser war ein Gut für alle.
Vielleicht wäre es in unserer heutigen Zeit anders verlaufen und unser carbunér [Köhler] hätte von dieser wertvollen Entdeckung leben können. Stattdessen, als ob nichts passiert wäre, nahm er nach dem Feiern seine Arbeit wieder auf und ließ sich vom poiàt [kreisförmiger Holzstapel] räuchern. In der Tat wusste er nichts anderes zu tun, als Holz zu hacken und Feuer zu machen. Diese Tätigkeiten waren sein Element und seine Welt. Doch eines Tages endete sein Leben genauso wie die Hainbuchenzweige, die er millionenfach aufgetürmt hatte und wir wissen nicht, ob es durch Müdigkeit, Unachtsamkeit oder einer von seinen Weinflaschen verursachten Dummheit geschah. Man erzählte sich, dass man von ihm, der ins Feuer gefallen war, nachdem man es ein paar Tage später entdeckt hatte, nur noch eine vertrocknete Silhouette vorfand. Seine auf dem Erdboden verstreute Asche hatte sich mit der kohlegeschwärzten Erde vermischt. Er hatte sich abgenutzt, so wie es auch mit seiner Arbeit geschah. Er wurde eins mit dem Land und den Wäldern, die seine Geburt erblickt und ihn versorgt hatten, bis sie ihn zurücknahmen, so, wie es der natürliche Lauf der Dinge war. Nach dem Verschwinden des Tampa blieb sein Wasserlauf übrig, um den Durst all derer zu stillen, die sich auf dem Berg Monte Denervo zwischen Boldìs und der Rocchetta aufhielten. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gab es dann niemanden mehr, der von den kargen Einnahmen aus dem Wald leben konnte, die Gegend entvölkerte sich allmählich und die Gegend wurde, auch aufgrund der anschließenden zahlreichen Brände, fast gänzlich unbewohnbar. Der von Steinen und Erdrutschen bedeckte Eingang des Tunnels verschmolz sich mit dem Hang und niemand schenkte mehr diesem Erdloch, das eher einem natürlichen Erdrutsch glich, irgendeine Bedeutung oder kümmerte sich um den Erhalt dieser Wanderwege.
Erst letztes Jahr (2006 A.d.R.), als wir Bergwanderer die Aussicht vom Monte Rocchetta bewunderten, entdeckten wir diesen kahlen Hügel, der unsere Neugier weckte, er lag weiter unten, direkt oberhalb der Klippe in Richtung See. Nach einigen Erkundungen entdeckten wir den Weg, der zu diesem abgelegenen Ort führte, den wir nicht kannten. Von dort aus führte eine andere Spur weiter zum "gial" und dann ein weiterer Pfad, der sich nach und nach zu einer ausgeprägteren Mulde hinunterschlängelte, zu einem weiteren Hügel und einem weiteren "gial" und schließlich hinunter zu einem Saumpfad direkt hinter dem Dorf Piovere. Es war eine große Anstrengung, alle von den Waldbränden gefallenen Stämme zu zersägen und die Sträucher zu stutzen, die den Durchgang behinderten, aber bei jedem Schritt gab uns die Entdeckung von weiteren bezaubernden Ausblicken auf den See unsere Begeisterung zurück. Auf der Suche nach historischen Informationen über diesen Ort, denn wir wollten seine Namensgebung rekonstruieren, erzählten uns einige alte Leute vom "Dos de Drüì", dem "Val del Torcol" und auch von Tampa und seinem Wasser. Nach weiteren Bemühungen und mit Hilfe genauerer Hinweise gelang es uns, auf einem Nebenpfad die Überreste des Eingangs zu seiner Quelle zu entdecken. Für uns, als Andenken an seine schöne Geschichte, ist dies nun der Sentér del Tampa [Tampa Pfad] geworden.
Wer weiß ob wir in der Zukunft, mit viel Graben und ein bisschen Glück, vielleicht die Genugtuung erfahren werden, einen Schluck von seinem frischen und großzügig geteilten Wasser trinken zu können: ganz sicher stellen wir uns dann vor, dass ein Teil von ihm, der in irgendeinem Baum überlebt hat, mit einer leisen Bewegung des Laubs, uns selbstzufrieden zunicken wird.
Franco Ghitti
DIALEKTBEGRIFFE:
Fiochèla: gekrümmtes Axtmesser. Werkzeug zum Spalten von Holz, wie eine kleine "Machete", das auf einer Seite geschärft ist und eine gebogene Spitze besitzt;
Fràsen: Esche;
Gial: kreisförmiger Platz, der zum Sammeln des Holzes und zur Vorbereitung des Poiàt geschaffen wurde;
Masèta: kleiner Vorschlaghammer, mit einem hölzernen Griff und einem eisernen Klopfer, der durch das Schlagen auf eine Spitze, ebenfalls aus Eisen, den Felsen zerschlägt oder zerbröckelt;
Ruèr: Eiche oder Flaumeiche;
Seghèt: Säge;
Smèrse: Ableger - Wurzeltriebe, die im Frühjahr im vegetativen Zyklus der Bäume entstehen;
Sücù: Dickkopf, sturköpfige Person, fig. störrischer Esel;
Poiàt: kreisförmiger Holzstapel, kunstvoll angeordnet mit einem zentralen Kamin, um durch die langsame Verbrennung der kleinen Stämme im Inneren Holzkohle zu erzeugen